Ein wirtschaftliches Interesse kann ein berechtigtes Interesse im Sinne des (i.S.d.) Artikel (Art.) 6 Unterabsatz (UAbs.) 1 Absatz (Abs.) 1 Buchstabe (lit.) f Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sein, wenn die Verarbeitung personenbezogener Daten zur Verwirklichung des Interesses absolut notwendig ist und unter Berücksichtigung aller Umstände die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen nicht überwiegen. Ein berechtigtes Interesse i.S.d. Art. 6 UAbs. 1 Abs. 1 lit. f DSGVO muss nicht gesetzlich bestimmt sein, jedoch muss es rechtmäßig sein. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 4. Oktober 2023 – C-621/22 im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens entschieden.
Im ursprünglichen Rechtsstreit klagte ein niederländischer Tennisverband gegen die niederländische Datenschutzbehörde, nachdem diese gegen den Tennisverband ein Bußgeld i.H.v. 525.000,00 € verhängt hat. Nach Ansicht der niederländischen Datenschutzbehörde hatte der Tennisverband gegen Art. 6 UAbs. 1 Abs. 1 lit. a und f i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO verstoßen. Der Tennisverband hatte im Jahr 2018 zwei seiner Sponsoren personenbezogene Daten seiner Mitglieder gegen ein Entgelt übermittelt. Die beiden Sponsoren nutzten die personenbezogenen Daten, um die Mitglieder gezielt mit Werbung anzusprechen. Die betroffenen Mitglieder hatten in die Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten nicht eingewilligt. Der Tennisverband ist jedoch der Auffassung, dass die Weitergabe aufgrund eines berechtigten Interesses nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO rechtmäßig war. Die niederländische Datenschutzbehörde ist der Ansicht, dass berechtigte Interessen i.S.d. Art. 6 UAbs. 1 Abs. 1 lit. f DSGVO nur zum Gesetz gehörende, gesetzliche und in einem Gesetz festgelegte Interessen seien.
Da das entscheidende Gericht, die Rechtbank Amsterdam, Zweifel bezüglich der Auslegung des Begriffes „berechtigtes Interesse“ hatte, hat es den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens um die Auslegung des Begriffes gebeten.
Nach Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 4. Juli 2023 – C-252/21) sind für das Vorliegen eines berechtigten Interesses drei Voraussetzungen maßgeblich:
- Von dem Verantwortlichen oder von einem Dritten muss ein berechtigtes Interesse wahrgenommen werden,
- die Verarbeitung ist für die Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich und
- es überwiegen keine Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Person, deren Daten geschützt werden sollen, gegenüber dem berechtigten Interesse des Verantwortlichen oder eines Dritten.
Als berechtigtes Interesse kommt grundsätzlich eine Vielzahl von Interessen in Betracht. Dieses muss nicht, wie sich aus 47. Erwägungsgrund der DSGVO ergibt, ausdrücklich geregelt sein. Es muss jedoch rechtmäßig sein.
Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist für die Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich, wenn dieses nicht in zumutbarer Weise mit anderen Mitteln erreicht werden kann, welche die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen weniger stark beeinträchtigten (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 - C 26/22 und C 64/22). Hierbei ist auch der in Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO normierte Grundsatz der Datenminimierung zu beachten.
Für die dritte Voraussetzung, also dass die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht gegenüber dem berechtigten Interesse des Verantwortlichen überwiegen, ist eine Abwägung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Hierbei ist nach dem 47. Erwägungsgrund der DSGVO auch zu beachten, ob eine betroffene Person zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten und angesichts der Umstände, unter denen sie erfolgt, vernünftigerweise absehen kann, dass möglicherweise eine Verarbeitung für einen bestimmten Zweck erfolgen wird.
Der EuGH hat im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, dass das wirtschaftliche Interesse des niederländischen Tennisverbandes personenbezogene Daten seiner Mitglieder gegen ein Entgelt an Dritte für Marketingzwecke zu übermitteln, ein berechtigtes Interesse sein kann. Der EuGH stellte jedoch fest, dass der Erforderlichkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten für die Verwirklichung des berechtigten Interesses ein anderes Mittel entgegenstehen könnte, welches weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreift: Der Verantwortliche hätte seine Mitglieder im Voraus fragen können, ob sie mit der Weitergabe ihrer Daten an die Sponsoren zu Marketingzwecken einverstanden sind. Dadurch hätten die betroffenen Mitglieder Kontrolle über die Offenlegung ihrer Daten und könnten die Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten auch beschränken. Dies würde auch dem in Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO normierten Grundsatz der Datenminimierung Rechnung tragen. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem wirtschaftlichen Interesse des Verantwortlichen und den Interessen oder Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Personen seien zudem der Umfang und die Auswirkungen der Verarbeitung auf die betroffene Person zu berücksichtigen. Weiterhin sei zu beachten, ob die Mitglieder des Tennisvereins bei Beitritt nach 47. Erwägungsgrund der DSGVO vernünftigerweise absehen konnten, dass ihre personenbezogenen Daten durch den Tennisverband an Dritte weitergegeben werden. Im konkreten Fall sei für die Abwägung auch der Umstand entscheidend, dass die personenbezogenen Daten der Mitglieder auch an einen Anbieter von Glücksspiel übermittelt wurden, wodurch die betroffenen Personen der Gefahr der Entwicklung einer Spielsucht ausgesetzt werden könnten.
Die abschließende Klärung der Frage, ob im konkreten Fall das wirtschaftliche Interesse des Tennisverbandes ein berechtigtes Interesse i.S.d. Art. 6 UAbs. 1 Abs. 1 lit. f DSGVO darstellt, welches die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtfertigt, obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht.
"EuGH: Wirtschaftliches Interesse als berechtigtes Interesse i.S.d. DSGVO"
von Leah Porto-Rico, wissenschaftliche Mitarbeiterin