Vorratsdatenspeicherung. Eine lange Debatte scheint sich dem Ende zu nähern, als der Generalanwalt des Gerichtshofs der Europäischen (EuGH) Manuel Campos Sánchez-Bordona verlauten lässt, die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung entspreche nur dann Europarecht, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit besteht.
Aus seinen Schlussanträgen zu mehreren Fällen aus drei Ländern (Schlussanträge v. 18.10.2021, Rs. C-793/19 und C-794/19; Rs. C-140/20; Rs. C-339/20 und C-397/20), darunter auch erstmals aus Deutschland, lässt sich herauslesen, dass die Antworten auf alle vorgelegten Fragen bereits in der Rechtsprechung des EuGH zu finden seien oder ohne Weiteres aus ihr abgeleitet werden könnten. Der Zugang zu den allgemein gespeicherten Daten stelle einen schwerwiegenden Eingriff in den Schutz personenbezogener Daten sowie die Grundrechte auf Familien- und Privatleben. Aus diesem Grund sei die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nur gerechtfertigt, um die nationale Sicherheit zu schützen und nicht zum Zweck der Verfolgung schwerer Straftaten. Eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit rei-che gerade nicht aus.
Innen- und Rechtspolitiker in der EU heben jedoch immer wieder die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung für die Verbrechensbekämpfung hervor. Wir erinnern uns: Erstmals wurde ein Gesetzesvorschlag für die Vorratsdatenspeicherung von der großen Koalition im Jahr 2007 eingebracht und kurz darauf vom Bundestag angenommen. Damit wurde eine EU-Richtlinie umgesetzt. Das Gesetz verpflichtete Unternehmen zur Aufzeichnung von Verkehrs- und Standortdaten in großem Umfang, z. B. bei Telefonaten die Telefonnummern und Standortdaten der Gesprächspartner und bei der Internetnutzung die Zeit und benutzte IP-Adresse.
Das Bundesverfassungsgericht hob die Regelung drei Jahre später auf, weil das Gesetz gegen Art. 10 Abs. 1 GG verstoße. Die Hürden für staatliche Zugriffe auf die Daten seien zu niedrig gewesen und es habe keine konkreten Maßnahmen zur Datensicherheit vorgesehen. Die der Regelung zugrundeliegende Richtlinie wurde vom EuGH 2014 aufgehoben. 2015 trat ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Kraft.
Nach aktuellem Stand werden in Deutschland Daten jedoch lediglich selektiv und gerade nicht allgemein und unterschiedslos gespeichert. Hintergrund ist, dass der EuGH 2016 abermals bekräftigte, dass die anlasslose Speicherung von Daten grundrechtswidrig sei. Daran orientierte sich das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen und stellte mit Beschluss im Jahr 2017 fest, dass die deutschen Re-gelungen zur Vorratsdatenspeicherung gegen europäisches Recht verstoßen. Daraufhin wurde die Vorratsdatenspeicherung durch die Bundesnetzagentur faktisch ausgesetzt, bis die Rechtslage klar sei.
Nun beschäftigt sich der EuGH unter anderem mit zwei Vorabentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Rs. C-793/19 und C-794/19). Konkret möchte es wissen, ob die Speicherpflicht aus § 113a Abs. 1 i.V.m. § 113b TKG (Fassung vom 10. Dezember 2015) gegen Unionsrecht verstößt. Der irische Supreme Court (Rs. C-140/20) möchte vom EuGH wissen, welche Anforderungen EU-Recht an die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung schwerer Kriminalität stellt und wie der Zugriff zu diesen Daten reguliert werden soll. Aus Frankreich (C-339/20 und C-397-20) kommt die Frage, ob Telekommunikationsgesellschaften aufgrund der Marktmissbrauchsverordnung Nr. 596/2014 verpflichtet werden können, Daten generell für eine bestimmte Zeit zu speichern, um Beweise von Verstößen zu sichern.
Alle Fälle seien laut Sánchez-Bordona bereits durch die Rechtsprechung des EuGH abgedeckt. Die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung sei nur gerechtfertigt, um die nationale Sicherheit zu schützen. Irland erntet Kritik, weil der Zugang zu den Daten nicht von Gerichten oder unabhängigen Behörden kontrolliert wird. Die Frage aus Frankreich wird mit einem Verweis auf die vom März ergangene Rechtsprechung des EuGH beantwortet, nach der die Verordnung keine eigenständigen Befugnisse zur Datenspeicherung gewährt. Die Rechtsauffassung aus den Schlussanträgen des Generalanwalts ist für die Richterinnen und Richter des EuGH nicht bindend, jedoch folgen sie dieser meistens. Gewissheit wird allerdings erst das Urteil des EuGH bringen, welches im Jahr 2022 zu erwarten ist.
Das sicherheitspolitische Thema dürfte auch noch für die nächsten Wochen interessant bleiben, insbesondere wenn es um die Ampel-Koalitionsverhandlungen geht. Während sich die SPD immer wieder offen für das kriminalpolitische Instrument zeigte, haben sich Grüne und Liberale in der Vergangenheit häufig gegen weitere Befugnisse ausgesprochen.
„Update zur Vorratsdatenspeicherung – oder was von ihr noch übrig bleibt“
von Otto Weidenkeller, wissenschaftlicher Mitarbeiter