Das Bundesverwaltungsgericht bejaht im Urteil vom 30.11.2022 - 6 C 10/21 einen Anspruch von Examenskandidaten darauf, dass die Landesjustizprüfungsämter ihnen unentgeltlich Kopien der Klausuren mitsamt Prüfgutachten zur Verfügung stellen.
Der Kläger, ein Jura-Absolvent aus Nordrhein-Westfalen, hatte im Jahr 2018 an der zweiten juristischen Staatsprüfung teilgenommen und beantragte im Oktober 2018 gegenüber dem Prüfungsamt unter Berufung auf datenschutzrechtliche Vorschriften Einsicht in die angefertigten Aufsichtsarbeiten und Prüfgutachten. Er bat zudem um Übersendung von Kopien auf elektronischem oder postalischem Weg. Das Landesjustizprüfungsamt war bereit, die 348 Seiten gegen eine Erstattung von Kosten in Höhe von 69,70 EUR zur Verfügung zu stellen. Nachdem sich der Kläger unter Bezugnahme auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) weigerte, diese Kosten zu tragen, wurde eine Übersendung abgelehnt.
Dagegen zog der Prüfling vor Gericht, woraufhin das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen das Prüfungsamt verurteilt hat, dem Kläger unentgeltlich Kopien der Aufsichtsarbeiten mit Prüfgutachten auf postalischem oder elektronischem Weg zur Verfügung zu stellen. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen wies die eingelegte Berufung zurück und bestätigte das Urteil der Vorinstanz. Der Kläger habe einen Anspruch auf Zurverfügungstellung einer unentgeltlichen Datenkopie, was aus der DSGVO folge, die vorliegend über die Regelungen im Landesdatenschutzgesetz NRW anwendbar sei. Nun gab auch das Bundesverwaltungsgericht dem Absolventen Recht.
Der Anspruch auf die unentgeltlichen Kopien folge aus Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO. Der zuständige Senat des Bundesverwaltungsgerichts verwies zur Begründung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2017, in dem das Luxemburger Gericht entschieden hatte, dass schriftliche Prüfungsleistungen in einer berufsbezogenen Prüfung sowie die Anmerkungen der Prüfer zu diesen wegen der in ihnen jeweils enthaltenen Informationen über den Prüfling insgesamt personenbezogene Daten des Prüflings darstellen. Diesem Anspruch stehen auch keine Ausschlussgründe entgegen. Es seien insbesondere keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers zu erkennen. Auch der fristgebundene Einsichtsanspruch nach § 23 Juristenausbildungsgesetz NRW lasse den datenschutzrechtlichen Anspruch unberührt.
Zudem lasse sich auch kein unverhältnismäßig großer Aufwand für das Landesjustizprüfungsamt Nordrhein-Westfalen feststellen, so das Bundesverwaltungsgericht. Das beklagte Prüfungsamt hatte schon in der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgericht vor einer Überlastung gewarnt, sollte jeder Prüfling einen Anspruch auf Herausgabe unentgeltlicher Kopien haben. "Als größtes Prüfungsamt Deutschlands für die zweite juristische Staatsprüfung werden pro Jahr allein in dieser Prüfung circa 18.000 Aufsichtsarbeiten angefertigt, die im Schnitt rund 25 Seiten umfassen; insgesamt geht es allein hier also um rund 450.000 Kopien pro Jahr", so das Landesjustizprüfungsamt Nordrhein-Westfalen. Diese Argumentation ließ das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen unbeeindruckt und setzte dem entgegen, dass damit zu rechnen sei, dass viele Prüflinge sich mit einer elektronischen Kopie, etwa im PDF-Format, zufriedengeben werden. Der Aufwand für analoge Kopien, wie sie jetzt gegen Zahlung angefertigt würden, werde dafür abnehmen. In der Vergangenheit sind die Landesjustizprüfungsämter der Länder unterschiedlich mit den DSGVO-Anträgen der Prüflinge umgegangen. Teilweise sind die Bundesländer den Anträgen unkompliziert nachgekommen. Größere Bundesländer haben sich jedoch gesträubt wollten die angeforderten Unterlagen nicht ohne Kostenerstattung herausgeben.
„DSGVO: Anspruch auf kostenloses Kopieren von Examensklausuren “