Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bei der Wiedergabe von Olearius-Tagebuch ist rechtmäßig

 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) sieht ein überragendes öffentliches Interesse daran, dass die Süddeutsche Zeitung wörtlich aus den Tagebüchern des in dem Cum-Ex-Skandal verwickelten Bankier Christian Olearius zitieren darf (Urt. vom 16.05.2023, AZ: VI ZR 116/22). Außerdem stellen die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmten Tagebuchaufzeichnungen keine „amtlichen Dokumente“ des Strafverfahrens im Sinne von § 353d Nr. 3 StGB dar. Der Miteigentümer der Hamburger Warburg Bank hatte die Süddeutsche Zeitung verklagt, da er sich durch die Veröffentlichung in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sah.

 

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Christian Olearius (im Folgenden: Kläger) wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften. Im Zuge dessen wurden 2018 die Tagebücher des Klägers bei einer Durchsuchung der Privaträume im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beschlagnahmt.

 

Die Süddeutsche Zeitung (im Folgenden: Beklagte) veröffentlichte auf der von ihr betriebenen Internetseite www.sueddeutsche.de am 04. September 2020 den Artikel „Notizen aus der feinen Gesellschaft“, der sich mit der Einflussnahme der Hamburger Politik auf Entscheidungen der Finanzbehörden im Zusammenhang mit Steuerrückforderungen beschäftigt. In diesem Artikel zitiert die Beklagte wörtlich aus den Tagebüchern.

 

Das Landgericht hatte die Veröffentlichung von 16 Zitaten mit Urteil vom 05. März 2021, AZ: 324 O 502/20 verboten. Das Oberlandesgericht hatte mit Urteil vom 22. März 2022, AZ: 7 U 25/21 die Berufung der Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen und dem Kläger Recht gegeben. Der BGH hob, auf die Revision hin, das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) auf.

 

Laut BGH steht dem Kläger gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Unterlassung der wörtlichen Wiedergabe der beanstandeten Textpassagen aus seinen Tagebüchern zu.

 

Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich, entgegen der Ansicht des OLG, nicht aus § 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Absatz 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB aus Verletzung eines Schutzgesetzes. § 353d Nr. 3 StGB könne schon nicht als Schutzgesetz angesehen werden, da die Norm eine abstrakte Gefährdung der von ihr geschützten Rechtsgüter genügen lasse. Es fehle die Interessenabwägung des konkreten Einzelfalls, die sonst zur Feststellung einer Persönlichkeitsverletzung erforderlich ist.

 

Der BGH dazu:

 

„Mit dem Inhalt, der der Norm nach dem Wortlaut und dem bisherigen Verständnis zukommt, kann die Bestimmung damit im Einzelfall in Konflikt mit Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK geraten. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Normengefüges ist es haftungsrechtlich nicht vertretbar, den zivilrechtlichen Rechtsgüterschutz in der Weise vorzuverlagern, dass die deliktische Einstandspflicht unabhängig von einer tatsächlich eingetretenen Beeinträchtigung des Schutzguts und losgelöst von einer einzelfallbezogenen Abwägung mit den entgegenstehenden Rechten Dritter aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK an die abstrakte Gefahr der Bloßstellung eines Verfahrensbetroffenen geknüpft wird. Die Belange der Verfahrensbetroffenen sind auch ohne die Verwirklichung einer so weitgehenden Rechtsfolge ausreichend abgesichert.“

 

Zudem seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 353d Nr. 3 StGB ohnehin nicht erfüllt, da die beschlagnahmten privaten Tagebuchaufzeichnungen Olearius keine „amtlichen Dokumente“ des Strafverfahrens seien. Der BGH weiter:

 

„In Hinblick auf die Gewährleistungen in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG verbietet sich ein weites Begriffsverständnis. Die Bestimmung erfasst daher nicht die Aufzeichnungen privater Urheber. […] Hätte der Gesetzgeber auch Dokumente privater Urheber dem Tatbestand des § 353d Nr. 3 StGB unterstellen wollen, so hätte er dies durch die Bezeichnung "amtlich verwahrte Dokumente" klar zum Ausdruck bringen können und angesichts seiner Verpflichtungen aus Art. 103 Abs. 2 GG auch zum Ausdruck bringen müssen.“

 

Auch ergebe sich ein etwaiger Anspruch nicht aus § 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Absatz 1 BGB. Zwar berühre die wortlautgetreue Wiedergabe der Tagebuchauszüge das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in den Ausprägungen der Vertraulichkeitssphäre und des sozialen Geltungsanspruchs. Die Beeinträchtigung sei aber nicht rechtswidrig, da das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit überwiegen:

 

„Die Rechte des Klägers sind durch wörtliche Wiedergabe seiner Tagebuchaufzeichnungen nur in verhältnismäßig geringem Maß beeinträchtigt worden. Demgegenüber kommt dem Grundrecht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit im Streitfall ein besonders hohes Gewicht zu. Mit der wortlautgetreuen Wiedergabe der Tagebuchaufzeichnungen hat die Beklagte einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit in höchstem Maße berührenden Frage geleistet, die auch Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Hamburg ist. Das überragende Informationsinteresse der Öffentlichkeit erstreckt sich auch auf die Wiedergabe der Tagebuchaufzeichnungen im Wortlaut." 

 

Außerdem komme den wörtlichen Zitaten ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung zu, dies habe der Kläger hinzunehmen. Die wörtliche Wiedergabe habe ein vollständiges und unverzerrtes Bild in der Berichterstattung über das Thema ermöglicht. Laut LTO verwies der Vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung auch auf die Funktion der Presse als "Wachhund der Öffentlichkeit", deren Funktion nicht übermäßig eingeschränkt werden dürfe. 

 

"Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bei der Wiedergabe von Olearius-Tagebuch ist rechtmäßig"

von Miriam Gavrilescu, wissenschaftliche Mitarbeiterin