Nachdem der Digital Services Act (DSA) seit dem 17.02.2024 vollumfänglich Anwendung findet, hat das OLG Nürnberg mit Urteil vom 23.07.2024, Az. 3 U 2469/23, zum Verhältnis der vor und nach Inkrafttreten des DSA geltenden, die Haftung von Hostingprovidern als sogenannten mittelbaren Störern betreffenden Voraussetzungen Stellung bezogen. Dabei hat das Gericht im Wesentlichen eine Übereinstimmung der bisherigen Regeln (entsprechend der BGH-Rechtsprechung, z.B. BGH GRUR 2016, 855 Rn. 22) mit den neuen Anforderungen der DSA festgestellt.
Diese (alten und neuen) Haftungsvoraussetzungen werden im Folgenden dargelegt. Ferner wird das von dem DSA vorgesehene Verfahren zur Meldung von Rechtsverletzungen an den Hostingprovider durch Betroffene erläutert und es werden dessen Rechtsfolgen dargestellt.
Voraussetzungen und prozessuale Rechtsfolgen der Haftung von Hostingprovidern
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war Grundvoraussetzung zur Annahme einer solchen Haftung des mittelbaren Störers stets die Verletzung von Verhaltenspflichten, insbesondere in Gestalt von Prüfpflichten. Eine Pflicht des Hostingproviders, die Beiträge vor der Veröffentlichung auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen, bestand nicht. Die Verantwortung entstand erst ab Kenntnis der Rechtsverletzung z.B. durch Meldung eines Betroffenen, wobei nach einer solchen Meldung eines Betroffenen die Pflicht entstehen konnte, gleichartige Verletzungen in Zukunft zu verhindern.
Diese Meldung musste jedoch derart konkret sein, dass die Rechtsverletzung ohne vertiefte rechtliche und tatsächliche Überprüfung „unschwer bejaht werden kann“. Folge einer solchen Beanstandung war, dass der gesamte Sachverhalt bewertet werden musste, was nach bisheriger BGH-Rechtsprechung die Einholung einer Stellungnahme des rechtsverletzenden Beitragserstellers erforderlich machen konnte. Der Umfang dieser Pflichten bestimmte sich im Einzelfall danach, inwieweit dem als mittelbarer Störer in Anspruch Genommenen die Verhinderung der Verletzung zumutbar war. In der Interessenabwägung waren insbesondere die betroffenen Grundrechte der Beteiligten zu berücksichtigen. Anknüpfungspunkte für die Abwägung waren des Weiteren:
- Das Gewicht der angezeigten Rechtsverletzung,
- die Erkenntnismöglichkeiten des Hostingproviders,
- die Funktion und Aufgabenstellung des vom Provider betriebenen Dienstes,
- die Eigenverantwortung des für die rechtsverletzende Aussage unmittelbar Verantwortlichen,
- die Fähigkeit des Betroffenen, anhand eigener Erkenntnismöglichkeiten seinen Anspruch durchzusetzen bzw. dessen Angewiesenheit auf Erkenntnisse, die der Hostingprovider von dem für die Äußerung verantwortlichen Nutzer erfahren kann.
Sofern der Betroffene derartige Erkenntnismöglichkeiten nicht hatte, folgte in prozessualer Hinsicht eine sekundäre Darlegungslast und gegebenenfalls auch Recherchepflicht des Providers. Wenn der Provider dem nicht nachkam, galten die Tatsachenbehauptungen des Betroffenen im Rahmen seiner Klage gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Die sekundäre Darlegungslast griff hingegen dann nicht, wenn dem Betroffenen eine weitere Sachverhaltsaufklärung möglich und zumutbar war.
Diese Maßstäbe stehen nach den Ausführungen des OLG Nürnberg im Einklang mit den Regelungen des DSA, sind also weiter zugrunde zu legen. Das ergebe sich auch aus Art. 8 DSA. Danach besteht keine allgemeine Verpflichtung, gespeicherte Informationen fortlaufend zu überwachen. Aus diesem Grund gelte weiterhin, dass nur anlassbezogen eine Prüfpflicht des Diensteanbieters entstehen könne. Sollte sich die Rechtswidrigkeit der Äußerung nicht aufklären lassen, so dürfe sich dies nicht zulasten der Hostingdiensteanbieter auswirken.
Art. 6 DSA sehe insofern zudem einen Haftungsausschluss der Hostingprovider vor, wenn der Anbieter
- keine tatsächliche Kenntnis von einer rechtswidrigen Tätigkeit oder rechtswidrigen Inhalten hat und sich in Bezug auf Schadensersatzansprüche auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen eine rechtswidrige Tätigkeit oder rechtwidrige Inhalte offensichtlich hervorgeht, oder
- sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt, zügig tätig wird, um den Zugang zu den rechtswidrigen Inhalten zu sperren oder diese zu entfernen.
Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage zeige sich hier, dass Voraussetzung der mittelbaren Haftung weiterhin ein derart präziser Hinweis auf eine behauptete Rechtsverletzung ist, dass die beanstandeten Inhalte leicht auffindbar sind und deren Rechtswidrigkeit ohne Weiteres festzustellen ist.
Nicht final bewertet wurde in dem Urteil jedoch, ob die nach den bisherigen Maßstäben grundsätzlich notwendige Einholung einer Stellungnahme des potentiell rechtwidrig handelnden Nutzers durch den Hostingprovider den Vorgaben der DSA widerspricht. Der Senat tendiert allerdings dazu, einen solchen Widerspruch zu verneinen.
Er hat dies mit der nach Erwägungsgrund 50 S. 1 der DSA besonders wichtigen Rolle des Hostingdiensteanbieters beim Umgang mit rechtswidrigen Online-Inhalten begründet sowie mit dessen Pflicht zur sorgfältigen Bearbeitung einer Meldung nach Art. 16 Abs. 3 DSA (näheres hierzu siehe unten). Dies könne die Beteiligung des Beitragsverfassers implizieren. Zudem hat der Senat wegen Artikel 6 Abs. 4 DSA aus den jeweiligen nationalen Regelungen zur Störerhaftung eine etwa entstehende Pflicht zur Einholung einer Stellungnahme abgeleitet.
Auch nach unserem Dafürhalten dürfte vor dem Hintergrund dieser Überlegungen vom Einklang und der Fortgeltung dieser Anforderung mit den Regelungen im DSA auszugehen sein.
Alle Fragen zur Anwendbarkeit des Art. 17 DSGVO als Anspruchsgrundlage im konkreten Fall offenlassend hat der Senat zusätzlich ausgeführt, dass jedenfalls die „bewusst differenzierenden Regelungen“ der DSA nicht umgangen werden dürfen, weshalb der Regelungsgehalt der Haftungsprivilegierung nach Art. 6 DSA in die dort vorzunehmende Interessenabwägung einzufließen habe.
Ausnahmen von der Haftungsprivilegierung nach Art. 6 DSA
Die soeben skizzierten Haftungsprivilegien gelten jedoch nicht unbeschränkt, sondern finden unter bestimmten Voraussetzungen keine Anwendung, nämlich
- wenn der Provider die Dienstleistung nicht auf neutrale Weise und durch die bloße technische und automatische Verarbeitung der vom Nutzer bereitgestellten Informationen erbringt, sondern dahingehend eine aktive Rolle einnimmt, dass er Wissen oder Kontrolle über diese Informationen erhält (Erwägungsgrund 18 zum DSA),
- im Zusammenhang mit Informationen, die nicht vom Nutzer bereitgestellt werden, sondern vom Anbieter des Vermittlungsdienstes selbst, auch wenn diese Informationen im Rahmen der redaktionellen Verantwortung dieses Anbieters entwickelt wurden (Erwägungsgrund 18 zum DSA),
- wenn der verfassende Nutzer dem Provider untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird (Art. 6 Abs. 2 DSA),
- bei der verbraucherschutzrechtlichen Haftung von Online-Plattformen, die Verbrauchern das Abschließen von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern ermöglichen, wenn die Online Plattform die spezifischen Einzelinformationen dazu darstellt oder die betreffende Einzeltransaktion anderweitig in einer Weise ermöglicht, bei der ein durchschnittlicher Verbraucher davon ausgehen kann, dass die Information oder das Produkt oder die Dienstleistung, die bzw. das Gegenstand der Transaktion ist, entweder von der Online-Plattform selbst oder von einem ihrer Aufsicht unterstehenden Nutzer bereitgestellt wird (Art. 6 Abs. 3 DSA),
- wenn eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde nach dem nationalen Recht von dem Provider verlangt, eine Zuwiderhandlung abzustellen oder zu verhindern (Art. 6 Abs. 4 DSA).
Offen gelassen hat das OLG Nürnberg insoweit, ob entsprechend der vormals geltenden Haftungsbeschränkung nach § 10 S. 1 TMG auch die Haftungsbeschränkung nach Art. 6 DSA keine Anwendung findet, wenn der geltend gemachte Unterlassungsanspruch seine Grundlage in einer vorangegangenen Rechtsverletzung findet.
Obligatorische Einrichtung eines qualifizierten Melde- und Abhilfeverfahrens nach Art. 16 DSA
Hervorzuheben ist, dass sich im zweiten Abschnitt der DSA zusätzliche Bestimmungen für Hostingdiensteanbieter und Online-Plattformen befinden und Artikel 16 die Einrichtung eines Melde- und Abhilfeverfahrens vorsieht, mit welchem Personen oder Einrichtungen als rechtsverletzend angesehene Inhalte melden können.
Insbesondere hierdurch kann der Meldende also die oben dargestellte erforderliche Kenntnis der Rechtsverletzung des Hostingdiensteanbieters hervorrufen. Denn Meldungen nach diesem Verfahren haben die Konsequenz, dass von der tatsächlichen Kenntnis oder einem Bewusstsein in Bezug auf die betreffende Information ausgegangen wird, wenn sie es einem sorgfältig handelnden Anbieter von Hostingdiensten ermöglichen, ohne eingehende rechtliche Prüfung festzustellen, dass die einschlägige Tätigkeit oder Information rechtswidrig ist (vgl. Art. 16 Abs. 3 DSA).
Das Verfahren ist von den Anbietern unter anderem in der Form einzurichten, dass es leicht zugänglich und benutzerfreundlich ist und das Übermitteln hinreichend genauer und angemessen begründeter Meldungen erleichtert wird.
Im ersten Schritt bietet es sich für Betroffene daher zunächst an, das vorgenannte Meldeverfahren des Anbieters zu nutzen und etwaiges Beweismaterial zu sammeln.
Benötigen Sie als Hostingprovider Rechtsberatung bei der Umsetzung des Digital Services Acts oder der rechtlichen Einordnung von behaupteten Rechtsverletzungen oder der prozessualen Rechtslage? Sind Sie Betroffener einer womöglich rechtsverletzenden Äußerung und möchten einen etwaigen Unterlassungsanspruch - gegebenenfalls auch ohne zunächst das Ergebnis des Meldeverfahrens abzuwarten - durchsetzen? Kontaktieren Sie uns, wir beraten und vertreten Sie gerne umfassend!