Account-Sperrung: Unterlassungsanspruch gegen marktbeherrschende Betreiber Sozialer Medien

In seinem Urteil vom 02.04.2025 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (Az.: U (Kart) 5/24) den kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen marktbeherrschende Betreiber Sozialer Medien erneut bestätigt und gefestigt und eine Berufung hiergegen zurückgewiesen. Das OLG prüft, nach einer sehr ausführlichen Prüfung der Zuständigkeit deutscher Gerichtsbarkeiten, lehrbuchartig den kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch – allein dafür lohnt sich die Lektüre dieses Urteils.

 

Worum ging es?

 

Der Kläger, ein eingetragener, als gemeinnützig anerkannter Verein, der u.a. Ausstellungen, Konzerte, Film- und Seminarreihen organisiert, vermarktete seine Aktivitäten über eine Seite auf dem sozialen Netzwerk der Beklagten. Die Beklagte betreibt in Europa und damit auch für deutsche Nutzer dieses soziale Netzwerk. Die Beklagte bietet zum einen privaten Nutzern die Erstellung persönlicher Seiten an, auf denen sie sich auf vielfältige Weise mitteilen und mit anderen Nutzern vernetzen können. Zum anderen bietet die Beklagte Inhalteanbietern wie dem Kläger die Erstellung von geschäftlichen Seiten an, mit denen diese ihre Inhalte unter den privaten Nutzern verbreiten und mit ihren im sozialen Netzwerk vertretenen Kunden und Interessenten über Abonnements oder eine „Gefällt mir“-Funktion in Verbindung treten können. Die Beklagte verfügt über sogenannte „Gemeinschaftsstandards“ (= Nutzungsbedingungen), die u.a. die Nacktdarstellung von Kindern untersagen. Die Nutzungsbedingungen der Beklagten enthalten ein Verbot u.a. des Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards und den Vorbehalt u.a. der Entfernung oder Blockade entsprechender Inhalte sowie eine Gerichtsstandsvereinbarung für den Sitzstaat der Beklagten.

 

Der Kläger hatte ein Filmstill aus dem Oscar-nominierten, durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH (FSK) mit einer Altersfreigabe ab 12 Jahren eingestuften Film „Der Schamane und die Schlange“ zur Veröffentlichung eines Programmhinweises auf seiner Seite hochgeladen, das Indigene in typischer Bekleidung zeigt. Kurz darauf wurde seine Seite von der Beklagten gesperrt. Die Beklagte hatte den Kläger vor der Seitensperrung nicht informiert oder angehört. Die vom Kläger noch am Tag der Sperrung erstmalig und in der Folge wiederholt vorgenommenen Versuche, den von der Beklagten bereitgestellten Mechanismus zur Überprüfung der Sperrung in Gang zu setzen, blieben erfolglos.

 

Die Beklagte hatte die Seite zwischenzeitlich wieder freigeschalten.

 

Der Kläger erhob Klage am Landegericht Düsseldorf, auf Unterlassung erneuter Sperrung gestützt auf den kartellrechtlichen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus §§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB. Er richtete sich unter anderem auch gegen die Einbeziehung der geltenden Nutzungsbedingungen. Der Kläger macht zudem zahlreiche grundrechtliche Verstöße geltend.

 

Die Beklagte hat vorgetragen, sie könne aufgrund der Tatsache, dass der Sachverhalt bereits lange Zeit zurückliege, den genauen Grund für die Sperrung nicht mehr ermitteln. Sie könne lediglich nachvollziehen, dass als Grund der Entfernung Verstöße gegen das in den Gemeinschaftsstandards niedergelegte Verbot der Nacktdarstellung von Kindern hinterlegt sei. Ihr sei eine weitere Ermittlung des Sachverhalts nicht möglich; eine Fehlbeurteilung zu Lasten des Klägers sei nicht ausgeschlossen. Die Beklagte rügte zudem die Zuständigkeit deutscher Gerichtsbarkeiten aufgrund der Gerichtsstandvereinbarung in ihren Nutzungsbedingungen.

 

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und der Beklagten die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

 

Was wurde entschieden?

 

Auch das OLG entschied zugunsten des Klägers und wies die Berufung zurück.

 

Zunächst widmete sich das OLG Düsseldorf eingehend der Thematik der Zuständigkeit deutscher Gerichtsbarkeiten. An dieser Stelle soll lediglich eine kurze Erläuterung erfolgen, ansonsten wird zu der äußerst spannenden Prüfung auf die Lektüre des Urteils verwiesen. Im Grunde hielt das OLG fest, dass es sich bei dem kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch um einen deliktischen Anspruch handelt, weil der Kläger mit seinem Antrag einen auf eine unerlaubte Handlung gestützten Anspruch geltend macht. Dies begründet das OLG damit, dass der Kläger die Unterlassung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Beklagte als Betreiberin des sozialen Netzwerks begehrt. Die Zuständigkeit richtet sich demnach nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO und nicht nach dessen Nr. 1, der auf den vertraglichen Anspruch abstellt.

 

Hinweis: Ausgeschrieben heißt die Verordnung: Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und Rates vom 12.12.2012 (Amtsblatt L 351 vom 20.12.2012, S. 1)

 

Dem steht auch die Nutzungsbedingung nicht entgegen, unabhängig davon, ob diese wirksam vereinbart wurde oder nicht. Zwar enthält sie einen vertraglich vereinbarten Gerichtsstand, doch die inhaltliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst den geltend gemachten kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch nicht. Die Nutzungsbedingungen sind am 5. Juli 2023 in Kraft treten. Zu diesem Zeitpunkt war der vorliegende Rechtsstreit jedoch bereits bei dem Landgericht Düsseldorf rechtshängig. Zwar kann eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO auch für eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit getroffen werden. Der Wortlaut der Nutzungsbedingungen spricht jedoch dagegen, dass die dort enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung auch für bereits entstandene Rechtsstreitigkeiten gelten sollte.

 

Das OLG bestätigt auch inhaltlich den kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch des Klägers gemäß §§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB. Die Sperrung der geschäftlichen Seite des Klägers im Netzwerk der Beklagten ohne vorherige oder unverzügliche nachträgliche Angabe von Gründen und/oder ohne Gelegenheit zur Stellungnahme ist ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten in Form eines Behinderungsmissbrauchs im Sinne des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB vor. Eine Behinderung eines anderen Unternehmens kann sich aus jeder nachteiligen Beeinflussung der wettbewerblichen Betätigungsfreiheit eines anderen Unternehmens ergeben. Durch die begründungs- und anhörungslose Sperrung seiner Geschäftsseite wird die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit des Klägers auf dem Angebotsmarkt für kulturelle Veranstaltungen beeinträchtigt, da er seine Veranstaltungen nicht wie gewünscht gegenüber seinen auf dem sozialen Netzwerk vertretenen Kunden und Interessenten bewerben kann. Die Vermutung eines Missbrauchstatbestands bedingt nicht zwingend die Feststellung dessen tatsächlicher Auswirkungen. Es reicht vielmehr aus, wenn ein wettbewerblicher Aktionsparameter objektiv geeignet ist, die Marktverhältnisse spürbar zu beeinträchtigen. Dies ist angesichts der erheblichen Follower-Zahl, die der Kläger auf dem Netzwerk hat und die er bei Sperrung seiner Seite nicht mehr erreichen kann, zu bejahen. Auch muss die Marktmacht nicht zwingend eingesetzt werden, um unangemessene Bedingungen durchzusetzen, damit der Missbrauchstatbestand erfüllt ist. Weiterhin muss eine von der Beklagten vorgenommene Seitensperrung nicht zwingend ihren wettbewerblichen Vorteilen dienen. Es genügt ein Wirkungszusammenhang dergestalt, dass das entsprechende Verhalten wegen der Marktbeherrschung des Normadressaten wettbewerbsschädliche Auswirkungen hat. 

 

Im Ergebnis: Die Sperrung, ohne vorherige oder unverzüglich nachträgliche Angabe von Gründen und/oder Gelegenheit zur Stellungnahme für den Kläger, stellt eine Behinderung im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB dar. 

 

Diese ist ebenfalls unbillig. Grundsätzlich steht den Betreibern von sozialen Netzwerken das Recht zu, in ihren Geschäftsbedingungen Verhaltensregeln aufzustellen und Maßnahmen zu deren Durchsetzung zu ergreifen. Dies gilt jedoch nicht unbeschränkt. Für die Entfernung von Inhalten und die Sperrung von Nutzerkonten muss ein sachlicher Grund bestehen. Die Beklagte darf ihre strukturelle Überlegenheit nicht dazu nutzen, willkürlich einzelne Meinungsäußerungen zu untersagen. Die in den Nutzungsbedingungen der Beklagten enthaltenen Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte müssen zudem die Gewährleistung einer Nachvollziehbarkeit ihrer Entscheidungen beinhalten. Sie dürfen nicht an bloß subjektive Einschätzungen oder Befürchtungen der Beklagten anknüpfen, sondern müssen an objektive, überprüfbare Tatbestände gebunden werden. (So schon BGH-Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, juris Rn. 81 f. – Hassredevorwurf). Hieraus ergeben sich verfahrensrechtliche Anforderungen. Insbesondere müssen Netzwerkbetreiber wie die Beklagte die ihnen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen. In ihren Geschäftsbedingungen muss sich die Beklagte demnach dazu verpflichten, den betreffenden Nutzer umgehend über die Entfernung eines Beitrags und eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und ihm eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen. Anschließend muss eine Neubescheidung erfolgen, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht. Zugleich hat die Beklagte Vorkehrungen zu treffen, damit Inhalte bis zur Durchführung des Gegenäußerungsverfahrens nicht unwiederbringlich gelöscht werden. Die nach den vorstehenden Grundsätzen erforderliche Anhörung des Nutzers ist, soweit die Beklagte eine (vorübergehende) Sperrung des Nutzerkontos beabsichtigt, vor Durchführung dieser Maßnahme geboten, von eng begrenzten, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen näher zu bestimmenden Ausnahmefällen abgesehen. Dieser Grundsatz gilt nicht zwingend für die wesentlich mildere Maßnahme der Sperrung einzelner Beiträge.

 

Was bedeutet diese Entscheidung?

 

Das OLG festigt den Schutz von Endverbrauchern, auch im unternehmerischen Kontext. Vor einer Sperrung in sozialen Netzwerken muss der Nutzer angehört, über die Gründe informiert und ihm muss die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben werden. Danach ist über eine Wiederherstellung des Beitrags neu zu entscheiden. Der Betreiber des Netzwerkes muss sich hierzu schon in seinen Geschäftsbedingungen verpflichten. Tut er dies nicht, sieht er sich ggf. einem Anspruch auf Freigabe der Seite sowie einem kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch hinsichtlich erneuter Sperrungen aus §§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB ausgesetzt.

 

"Account-Sperrung: Unterlassungsanspruch gegen marktbeherrschende Betreiber Sozialer Medien"

von Paul Baltz, wissenschaftlicher Mitarbeiter